Es ist ein grauer, kalter Dezembermorgen, als sich gegen 10 Uhr vor der Halle des Diakoniewerks Mülheim langsam eine Schlange bildet. Aus der kühlen Halle tönt leise aus den Lautsprechern Mariah Carreys „All I want for Christmas is You“. Hübsch dekorierte Weihnachtsmarktstände, die allerlei Kleinigkeiten, wie Handwerksarbeiten oder Dekorationsideen anbieten, laden zum Verweilen ein. Ein kleines Mädchen sitzt in ihrem Kinderwagen, dick eingepackt in einer Jacke, mit einem Schal und einer Zipfelmütze. Ganz ruhig betrachtet sie die großen blauen und roten Weihnachtskugeln, die an den Tannenbäumen hängen. Ihre Mutter steht neben ihr, gemeinsam mit vielen anderen Menschen, die an diesem Morgen ein Ziel haben: Um 12 Uhr Obst, Gemüse und Brot von der Tafel in Mülheim abholen – auch wenn das bedeutet, zwei Stunden lang in der Kälte auszuharren, bis die Tafel ihre Pforten öffnet.
Jeden Morgen fahren zwei Autos von der Tafel los und klappern Lebensmittelhändler und Bäckereien ab. Auch alle ALDI SÜD Filialen in Mülheim zählen dazu. Täglich machen die Wagen an den Anlieferstellen der Filialen Halt. Dabei muss es schnell gehen, denn immerhin stehen über 60 Läden für die Abholung von Ware auf der Liste. Die Bewegungen der Mitarbeiter sind gekonnt und schnell: Flink übergeben sie sich die Kisten. Angefangen vom ALDI SÜD Filialleiter bis hin zum Mitarbeiter, der im Innenraum des Wagens steht und die Kisten annimmt, packt jeder mit an.
Vielfalt und Qualität
Ein Blick in die bunt gefüllten Kisten zeigt, wie vielfältig die Ware ist: „Wir stellen der Tafel fast alles an Lebensmittel zur Verfügung: Obst, Gemüse, Brot oder Cerealien“, erklärt Mohamad Khalil. Er ist Filialleiter einer Mülheimer Filiale. Produkte, die kleine Schönheitsfehler haben oder bei denen der Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums naht, werden im gesamten ALDI SÜD Gebiet aus dem Sortiment genommen und an die örtlichen Tafeln gespendet. Voraussetzung ist, dass die Produkte noch immer den gesetzlich geltenden Qualitätsstandards entsprechen.
Jeden Tag schauen sich Mohamad Khalil und seine Mitarbeiter deshalb im kompletten Sortiment nach Ware um, die an die Tafel kann. „Die Ware, die wir spenden, muss absolut verzehrfähig sein, darf jedoch optische Makel haben“, erklärt er die Vorgehensweise. Ist von einer Packung mit sechs Äpfeln ein Apfel beschädigt, können die übrigen fünf Äpfel dennoch ohne Bedenken gegessen werden – sie werden von den Kunden jedoch meistens nicht mehr gekauft. Ähnliches gilt auch für andere Artikel. „Schokoladenkekse, die einen aufgerissenen Karton haben, aber noch in Folie verpackt sind, kaufen die Kunden eher selten, aber wegwerfen sollte man die Kekse deshalb nicht“, sagt Khalil und zeigt dabei auf eine aufgerissene Schokoladenverpackung, die sich in einer der Kisten tummelt.
Die Tafel als Treffpunkt
Knappe vier Minuten macht der Wagen von der Tafel vor der ALDI SÜD Filiale halt – danach düst das Auto weiter zu den übrigen Läden und schließlich Richtung Diakoniewerk, wo auch die Tafel ansässig ist. Zwei Mal täglich öffnet die Tafel ihre Pforten für bedürftige Menschen. Michael Farrenberg ist der Betriebsleiter des Diakoniewerks und sieht hier täglich bis zu 500 Menschen ein- und ausgehen. Danach gefragt, ob Jemand tatsächlich bedürftig ist, hat er jedoch noch nie: „Wer immer sich für bedürftig hält, kann sich hier anstellen. Wir haben keine Bürokratie.“
Auch weil es vielen unangenehm ist, sich als bedürftig zu outen, fragen die Mitarbeiter nicht nach einem Nachweis. „Für viele Menschen ist die Tafel auch ein Treffpunkt und gibt dem Tag einen Sinn“, erklärt Farrenberg weiter und blickt in Richtung der Menschenschlange. Manche stehen geduldig und stumm da und beobachten das Treiben im Diakoniewerk, viele andere jedoch unterhalten sich angeregt auf den verschiedensten Sprachen miteinander.
Dasselbe Bild zeichnet sich auch hinter den Kulissen ab – nur etwas fröhlicher: In einem kleinen Raum, der mit „Mülheimer Tafel“ gekennzeichnet ist, laufen hektisch etwa zwölf Menschen umher. Viele von ihnen sind Ein-Euro-Jobber, darunter auch Flüchtlinge. Jeder schnappt sich eine der Kisten, die gerade von den Autos geliefert wurden und sortiert die Lebensmittelspenden nach Obst, Gemüse, Brot oder Kühlartikel. Zwischendurch rufen sie sich Sprüche zu, die nicht unbedingt jeder versteht, aber gemeinsam gelacht wird dann trotzdem.
Ähnlich freundlich läuft es schließlich auch ab, als die Tafel gegen 12 Uhr aufmacht. In kleinen Gruppen treten die Menschen aus der Schlange hervor, reichen den Mitarbeitern ihre Tragetaschen und sagen, welche Artikel sie gerne hätten. Für sie alle hat sich das lange Warten gelohnt, denn sie können sich heute eine warme Mahlzeit zubereiten.
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