Mit seinen Mentoren stärkt der Bundesverband von MENTOR – Die Leselernhelfer Kinder und Jugendliche, die ihre Lesefähigkeit verbessern möchten. Diese treffen sich einmal pro Woche in ihrer Schule für eine Stunde mit einem Ehrenamtlichen, der mit ihnen zusammen liest. Die Erfahrung zeigt, dass sich das gemeinsame Lesen auch positiv auf Selbstbewusstsein und schulische Leistungen auswirkt. Wir unterstützen die Arbeit von MENTOR und wollten einmal genau wissen, was hinter so einer Lesepartnerschaft steckt. Die pensionierte Lehrerin Monika Becker und die 17-jährige Schülerin Sude, die drei Jahre ein Leseteam waren, haben es uns erklärt.
Frau Becker, Sie haben als Lehrerin lange mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Warum wollten Sie auch in Ihrem Ruhestand damit weitermachen?
Monika Becker: Das stimmt, ich habe mich in der Schule immer sehr wohl gefühlt. Aber so eine Lesepartnerschaft ist etwas ganz anderes als Unterricht in der Schule. Der Vorteil des MENTOR-Programms ist, dass man sich in einer 1:1-Situation und in einem klar abgesteckten Zeitraum auf ein Kind oder einen Jugendlichen einstellen kann. Es gibt keinen vorgegebenen Lernstoff oder ein Pensum. Entscheidend ist, selbst Freude am Lesen zu haben und diese zu teilen. Und das macht mir einen Riesenspaß.
Sude, wie war Deine Situation, als Du Frau Becker damals kennengelernt hast?
Sude: Ich war damals 13 Jahre alt und erst ein Jahr davor aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Alles war neu, die Sprache, das Umfeld. In der Schule habe ich nur wenig verstanden und konnte kaum etwas sagen. Ich hatte Angst, aufgerufen zu werden. Besonders schlimm waren für mich Vorträge vor der Klasse. Einmal bin ich einfach nicht hingegangen. Mein Lehrer hat mir das MENTOR-Programm nahegelegt, und so habe ich Frau Becker kennengelernt.
Das klingt nach schwierigen Startbedingungen. Wie hat es trotzdem geklappt?
Monika Becker: Wir haben uns in Sudes Schule getroffen und schnell gemerkt, das klappt mit uns. Als nächstes brauchten wir ein Buch. Das war gar nicht so leicht. Als Lesementor ist es wichtig, Texte zu finden, die das Kind zum Lesen verführen. Das können auch ganz unliterarische Texte sein. Für uns war wichtig, dass das Buch einfach geschrieben ist, aber Sude war damals schon 13. Wir haben mit Kinderbüchern angefangen, das war aber nicht altersgemäß. „Ben liebt Anna“ von Peter Härtling war dann schon besser. Schließlich haben wir sogar einen Roman mit 300 Seiten gelesen. Das war schon ziemlich viel, aber wir haben abwechselnd gelesen und immer wieder über den Inhalt gesprochen. Wir haben uns für das Buch ein Jahr Zeit gelassen.
Sude: Frau Becker war sehr nett zu mir und hatte viel Geduld. Sie hat mir erklärt, wie Wörter ausgesprochen werden und was sie bedeuten können. So habe ich langsam ein Gefühl für die Sprache bekommen. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben, und ich habe mich so auch mal im Unterricht gemeldet. Frau Becker hat mir gesagt, ich sollte mich einfach trauen, es kann ja nix Schlimmes passieren. Ich habe es probiert, und es hat geklappt. Das war, als würde eine Tür aufgehen. Irgendwann habe ich mir gedacht: Du könntest ja auch mal zuhause ein Buch lesen.

Üblicherweise dauert eine Lesepartnerschaft ein Jahr, bei Ihnen sind es am Ende drei geworden. Wie kam es dazu?
Monika Becker: Sude wollte weitermachen, und ich war sofort bereit. Ich habe mich ja auch auf jedes unserer Treffen gefreut. Mich lockt es nach wie vor, jungen Menschen Wind unter die Flügel zu bringen. Als Sude sagte, dass sie den Realschulabschluss machen und in die gymnasiale Oberstufe wechseln möchte, war ich glücklich. Ich habe sie dann noch unterstützt, ein Stipendium zu beantragen, über das sie jetzt weiter gefördert und betreut wird.
Sude: Ich habe Frau Becker sehr viel zu verdanken. Ich bin jetzt in der Oberstufe, davon konnte ich damals, bevor wir uns getroffen hatten, nur träumen. Aber es ist wahr geworden. Heute spreche ich gerne vor der Klasse, und Vorträge gehören zu meinen Lieblingsthemen. So langsam wage ich mich auch an literarische Werke. Für die Ferien habe ich mir ein neues Buch gekauft, von Goethe: „Die Leiden des jungen Werther“.
Wie geht es jetzt bei Ihnen weiter?
Monika Becker: Ich werde jetzt erst einmal eines meiner Patenkinder unterstützen, das vor seinem Abitur steht. Aber danach kann ich mir gut vorstellen, bei MENTOR mit einer neuen Lesepartnerschaft zu beginnen.
Sude: Ich mochte die Treffen mit Frau Becker sehr. Aber neben der Schule bleibt einfach zu wenig Zeit. Ich kann anderen Schülerinnen und Schülern, die in einer ähnlichen Situation sind, wie ich es war, nur empfehlen, so eine Partnerschaft zu probieren. Ich habe schon überlegt: Sude, vielleicht wirst Du auch mal eine Mentorin.
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